Manifest

Die Zelle ist das organisierte Grundprinzip des Lebens, das Modul, das Mutterelement,
die evolutionäre Kraft.

Im Zeitalter einer überaus hoch technisierten Welt mit ihren revolutionären wissen-
schaftlichen Erkenntnissen, ihrem Eindringen in den weiten Raum des Kosmos bis hin
in die kleinsten geheimen Kammern der Natur, werden den Menschen unserer Tage
über den Weg modernster Medien spektakuläre Einsichten in diese Bereiche
ermöglicht. Dynamik steht vor allem Werden. In der Darstellung von Zellensystemen,
in Fraktalen,in Systemen einer linearen oder nichtlinearen Dynamik, sehe ich ein hohes
Potential, eine Neuorientierung für die gegenwärtige Kunst. Das Prinzip der Selbst-
organisation von Zellen zum Zellengeflecht, der Prozess des Wandels von Stabilität zur
Instabilität innerhalb der Zellarchitektur wird zu einer evolutionären Aktivität, in der das
Leben Welten erzeugt. Sie alle strahlen mit ihren Bewegungen, Änderungen und
Rückkopplungen von den kleinen, in die großen Dimensionen und wieder zurück. Die
Natur lässt immer wieder Strukturen entstehen und vergehen. Die allgegenwärtigen
Prozesse lassen sich auf allen Ebenen des Universums beobachten. Sie treten auf
der kosmischen Ebene, der Ebene unseres Planeten und der Ebene der menschlichen
Dimensionen auf und setzen sich bis in die molekulare und die subatomare Ebene fort.
Das wohl auffallendste Beispiel solcher Prozesse der Selbstorganisation ist die
Entstehung und Entwicklung lebender Organismen.
" Kunst besitzt oder spiegelt insofern Kosmisches, als in ihr das Einzelne vom Leben
des Ganzen durchpulst wird und das Ganze im Leben des Einzelnen ist."
( Umberto Eco, Das offene Kunstwerk )

Neuschöpfung eines Ismus

Am 20. Januar 1991 wurde in einer Fernsehsendung des ZDF Mainz vom Chefredakteur
der Sendung "ASPEKTE" Herrn Dr.Willms unter dem Titel "Die Schöpfung" Teil II. die
Genforschung und ihre Folgen beklagt, dass dieser revolutionäre und spektakuläre
Vorgang innerhalb der Menschheitsgeschichte leider so gut wie gar nicht in der
Gegenwartskunst auftaucht.
Schon 1985 / 86 hatte ich mich ausschließlich mit dieser höchst brisanten Thematik der
Zelle und Zellteilung, dem Baustein allen Lebens intensiv beschäftigt. Im Jahre 2004
verfasste ich dieses zweite "Zelltektonistisches Manifest"
Ein Bericht aus der F A Z . Feuilleton, ebenfalls aus den 90 er Jahren, verfasst von
einem aus der damaligen Zeit renommierten Kunstjournalisten, Kunstkritiker, Herrn
Eduard Beaucamp, beklagte das Erscheinungsbild der Bildenden Kunst dahin gehend,
dass ein unübersehbarer Pluralismus sich über den ganzen Kontinent ausbreitet, ohne
jedoch ein gebündeltes, Ziel gerichtetes und vom Zeitgeist spezifisch geprägtes
immanent vorhandenes Weltbild widerspiegelt, somit der Verlust der "ISMEN" beklagt
wird. Diesem Verlust begegnete ich schon 1986 mit einer Stilrichtung, die zeitspezifisch
prägende Zeichen setzten. Der Begriff "Zelltektonistische Malerei und Sulpturen" ist
schon von der Wortprägung eine Eigenschöpfung, eine Kunstausrichtung, die sich
signifikant in meiner Malerei und Skulptur widerspiegelt. "Die Zelle als Baustein" das
Konstrukt allen Lebens. Hier erfüllt sich der beklagte Anspruch der beiden Herren,
Herrn Dr. Willms, damals Chefredakteur der Fernsehsendung "ASPEKTE" Mainz.
sowie die kritischen Anmerkungen von Herrn Eduard Beaucamp der F A Z in vollem
Maße.

Wenn die Kunst einerseits als Interpretation des Zeitgeistes und seiner Erscheinungs-
formen, andererseits als visuelle Erfahrung verstanden werden will, müssen sich diese
Einflüsse in der Kunst niederschlagen, wie z.B. der Einfluss der Erkenntnistheorie des
Kopernikus in der ersten Hälfte des 16. Jh. auf die Barockmalerei belegt.

Bereits seit 1985 ist das Wissen um die spektakulären Einsichten in den Mikro- und
Makrokosmos Träger meiner Bildintention. Mein Bestreben ist, das System zu
benennen, aus dem alles Leben hervorgeht, Ursprünge des Lebens sichtbar zu
machen, das verborgene Reale zu offenbaren.

Die ersten meiner größeren Bilder die unter diesem Aspekt
entstanden, sind auf die Jahre 1987 / 88 zurückzuführen.
Für mich bedeutete dies eine radikale Abkehr von all dem,
was mich vorher bestimmt hatte. Anfänglich brachte ich diese
zelltektonisch additive Bauweise der menschlichen Gestalt in
eine figürliche Lesbarkeit, d.h. unter Respektierung der
realen, proportional gerechten Körpergliederung. Aber schon
gleich danach wurde dies für mich hinfällig. Mich interessierte
prinzipiell nur der Kosmos im Körper, die Architektur der
kleinsten Teile und ihre Zuordnung zum größeren Komplex,
die Vernetzung der komplexen Bereiche wiederum zu noch
weiteren, noch ausgedehnteren Zellgebilden

 

Dieses Vorgehen bedeutet eine extreme Reduzierung
der bildnerischen Mittel hinsichtlich der Form, denn ich bediene mich nur eines
Formelements, der Umschreibung einer Zelle.

Erst 1997 / 98 ist es mir gelungen, von der zweidimensionalen zelltektonistischen
Figuration zur Dreidimensionalität zu gelangen, indem ich mich eines
unkonventionellen Ausdrucksmittels völlig zweckentfremdend bediente, nämlich
"Montageschaums" eines Baustoffes der einen extrem dissoluten Charakter besitzt
und nur von Bauhandwerkern für den Einbau von Fenstern und Türen benutzt wird.Für
mich ist es das einzige Material, das ich für meine Zwecke einsetzen kann, das

meiner Vorstellung vom Entstehen, vom Werden des
Lebens entgegenkommt, denn dieser Werkstoff ist
extrem lebendig, alle Kraft drängt von innen nach Außen
und so arbeite ich auch. Wie ein Kind im Mutterleib sich
entwickelt, so entstehen meine Skulpturen von einem
kleinen Teil hin zum größeren, komplexe Teile schließen
sich zu noch größeren Komplexen zusammen, bis hin zu

"Krieger, gefallen vor Troja" einer großen, in sich geschlossenen Gesamtform, der
einer Skulptur. Mein Appell richtet sich an alle Künstlerpersönlichkeiten, der inhaltlichen
Leere der Welt umfassenden Beliebigkeiten, der Orientierungslosigkeit, die sich in der
bildenden Kunst manifestiert, eine Bewegung entgegen zu setzen. Das was sich in den
letzten Jahrzehnten auf der Agora der Kunst bewegt, nährt sich überwiegend aus dem
Kompost der Ismen. Den Matadoren auf den Schauplätzen der Kunst mit ihren
schaueffekthascherischen Triebneigungen, dem substanzlosen exhibitionistischen
Manövrieren auf den Leinwänden und dann, dem auf allen Wegen so weit verbreitete
Epigonentum, all dem muss eine fundierte Weltsicht entgegen gesetzt werden.

Hier noch eine Randnotiz.

Da drängt eine Riesen-Heerschar von Amateuren, wie nach einer Aussaat von
Grassamen ganz dicht gefügt, aus dem Boden vom Platz des himmlischen Friedens,
um auf dem großen Fährschiff der Kunst einen Platz zu erhaschen und während
der Fahrt gierig Ausschau halten zu können, um dann letztlich an einem
vermeintlich günstigen Ort von Bord zu gehen. Es ist hier nicht die Rede von
malenden Steuerbeamten, Schulleiter, Bankangestellten, Friseure, Kranken-
schwestern, Kaufleute, Hausfrauen usw. Nein, gemeint sind diejenigen, die bei
weitem ihr Arbeiten auf der Leinwand nicht als eine bescheidene Bereicherung und
Ausschmückung ihres Alltags verstanden wissen wollen, sondern vielmehr von der
Triebneigung gesteuert werden, möglichst zeilenschindend von den Tages-
zeitungen bedacht zu werden.. Ein schon mittlerweile recht inflationäres
Erscheinungsbild unserer Zeit. Unter ihnen Leute, die mit allen ihnen zur Verfügung
stehenden Mitteln, glauben, ihre vermeintliche künstlerische Potenz auf die
Marktplätze und Schaubühnen der Kunst tragen zu müssen. Leute, die zuweilen
mit geradezu brachialer Gewalt nach vorne drängen, die so penetrant medienwirksam
operieren, um sich verkaufen zu können. Finden sie doch zu genüge Vorbilder in
ihren Popularitätsstrategen, die mit soviel Schaueffekten so viel erreicht, für Schlag-
wörter gesorgt, vom Kunstmarkt sehr gut bedacht wurden und die Museen
bestückten.

Der Maler Paul Gauguin prägte einen für alle Zeiten gültigen Satz" Das Wahre in der
Kunst liegt immer im Extremen, jeder Mittelweg führt zur Mittelmäßigkeit. "

Das Wort "Radikalität" ist in der Kunst zu einem Bewusstseinsträger geworden und
besitzt einen exorbitanten Stellenwert, denn über diesen Weg haben sich viele
"Größen"Anerkennung und Erfolg verschafft, ob gerechtfertigt oder nicht. Dieser Begriff
wird von einer erschreckenden Vielzahl von"Artisten" völlig missverstanden. Verführt
vom Anschein avantgardistischen Tuns, wird auf der Leinwand säuisch-farbtriefend
herumgeschmiert im naiven Glauben, zu den Arrivierten gezählt zu werden. Brave
Kunst ist äußerst schwer zu ertragen, eine falsch verstandene Radikalität jedoch ist
mehr als unerträglich. Von solchen Erscheinungsbildern sind wir so gründlich abgedeckt
Sie finden dann letztlich auch noch ihre Fürsprecher. So sind sie denn auch zu finden in
den Grossbanken, Konzernen, Ministerien,Verwaltungsgebäuden, Gross-Hotel-Anlagen
etc.bis weit in ferne Länder. Diese Artefakten,so wie sie sich zeigen, sind zu vergleichen
mit Gürtelschnallen, die in aller Welt hergestellt werden und zum verwechseln ähnlich
sind.

Kein Land in Europa war so anfällig für die Amerikanische Kunstszene wie Deutschland
nach dem verlorenen Krieg.Der Einfluss Amerikas führte dann auch zur Determinierung
des Kunstbegriffs. Der darauf folgende Kunstmarktbetrieb setzte seine ganz
spezifischen Akzente. Der Terminus des Begriffes „Kunst" wurde nicht nur von
Josef Beuys weit nach außen verschoben, sondern es fanden sich auch schon
Protagonisten jenseits des Atlantik. Ich sprach von der Radikalität in der Kunst. Hier nur
ein prägnantes Beispiel:

Der große Wegbereiter der modernen Kunst Paul Cézanne hinterließ uns ein Bild „ Der
Steinbruch von Bibémus" um 1898/90 ( Essen Folkwang-Museum. ) Dieser stille Mann
Cézanne und dann so ein Bild wie der Steinbruch; das übersteigt alles. Hier eine
Sprengkraft, ein geballtes, vehementes Aufbrechen der Erde, ein Erdbeben höchsten
Ausmaßes, das sich hier in Szene setzt, wo sich das Felsmassiv hoch aufbäumt
um dann in sich zusammen zu fallen um so zu einer ganz außergewöhnlichen
Bildtektonik ohne gleichen zu gelangen, von der Faszination der dynamischen
Farbsymphonie ganz abgesehen.In diesem einen Bild steckt so viel an Radikalität, ohne
dass Cézanne je daran gedacht hatte. Das ist Wahrhaftigkeit!

In den Zeiten der Schnelllebigkeiten vom Ende des 19.Jh. bis in die Mitte des 20. Jh
wurden Ismen in Rhythmen geboren. Danach kam es zu Turbulenzen innerhalb so
divergierender Kunstrichtungen. Hier die Happenings, dort die exhibitionistischen
medienwirksamen Apologeten einer neuen Kunst. Durch die Unterstützungen der
Galeristen wurden sie hofiert, und diejenigen, die sich auch kräftig laut in Szene
bringen konnten, wurden reichlich belohnt.
Um brav zu beginnen, hier ein Hinweis auf den Maler Yves Klein und seine monochrome
blauen Flächen von 1960 parallel zu dem Amerikaner Barnett Newman mit seinen
Bildtiteln, " Tag vor Eins" von 1951 und „Who´s afraid of red, yellow and blue III." von
1967/68.

Yves Klein sagte: „ Als ich entmaterialisierte Malerei geschaffen habe, als ich die
Kräfte des leeren Raumes manipuliert habe, als ich Feuer und Wasser geformt
habe und aus Feuer und Wasser Malerei geschaffen habe, als ich den
Lufturbanismus und die Luftarchitektur erfunden habe" usw.

Mit diesem Unsinn hatte er sich das nötige Gehöhr verschafft. Bezogen auf seine
Bilder schrieben die Gazetten von „GRANDE THEATRE DE VIDE". Spätestens da
kamen die Gehirnakrobaten aus ihren Startlöchern und beherrschten mehrere
Jahrzehnte exzessiv,
vollmündig die Kunstszene Einer der Großmeister der exhibitionistischen Schreihals-
Strategen war Piero Manzoni um nur einen von vielen zu nennen. Anfänglich noch
ganz brav, zelebrierte er einen ganz banalen Mörtelputz in der Körnung 3 bis 5 mm
auf einer Holztafel. (1958, )

Dann folgten 1959 die Ausführungen der längsten Linien. Zuerst die Länge von 19,11 m
dann folgte die von 33,00 m, die von 63,00 m die von 1000,00 m und letztlich die von
7200,00 m.(1960 ) Manifestation ( Kopenhagen und Mailand ) :Hier hat er hart gekochte
Eier in die Kunst eingeführt. Das Publikum konnte unmittelbar mit den Kunstwerken in
Beziehung treten, indem es die ganze Ausstellung in 70 Minuten auffraß.1960 verkaufte
er Abdrücke seines rechten Daumens.

1961 versuchte er Personen zu signieren, um sie dann auszustellen. „ Im Mai des gleichen
Jahres," so die Worte Manzonis, habe ich in 90 Dosen „Künstlerscheiße" produziert und
verpackt ( 30g. pro Dose), in natürlichem Zustand konserviert und etikettiert."

Nur noch einen möchte ich hier zitieren: Claes Oldenburg : „Ich bin für die Kunst, die
nicht in einem Museum auf ihrem Arsch sitzt. Für eine Kunst, die sich auf den
alltäglichen Mist einlässt und doch frei bleibt. Ich bin für eine Kunst, die aus dem
Kamin kommt wie schwarzes Haar und sich am Himmel verteilt, ich bin für eine Kunst
aus der Schnauze eines Hündchens, das fünf Stockwerke vom Dach fällt. Ich bin für
eine Kunst, die ein Kind schleckt, nachdem es das Einwickelpapier abgelöst hat.
Ich bin für eine Kunst, die man raucht wie eine Zigarette, die riecht wie ein paar Schuhe,
eine Kunst, die man isst wie ein Stück Torte oder wie einen Haufen Scheiße verächtlich
fort wirft".

Mit solch einem Gehirnmüll konnte man selbst kluge Leute einfangen, die darin noch
mehr sahen als nur Mut zur Veränderung, mehr als das Aufbrechen und Wegstampfen
vorausgegangener Stilentwicklungen. So gibt es auch Personen, die bei der Betrachtung
einer weißen, blauen oder schwarzen Tafel, sobald sie aus einem banalen Umfeld
gerückt sich an einer Wand im Museum befindet, sie ins Religiöse, ins Transzendente
erhöhen. Personen mit einer phantasmagorischen Prädestination mögen in solchen
Demonstrations- tafeln tatsächlich das offene Kunstwerk entdecken, das bei ihnen
Freiräume erschließt und so beim Betrachten einer weißen Tafel ihnen ein höheres
Sein, das ewig Reine, das Göttliche impliziert wird und bei der Betrachtung einer
schwarzen Fläche, er womöglich einen enormen Tiefenrausch erfährt.

Eine solche Sicht wird ihnen von sehr klugen Leuten wie Museumsdirektoren, Kunst-
pädagogen, Kunsthistorikern, Kunstprofessoren und geschäftstüchtigen Galeristen
suggeriert, denn sie alle, nein ich muss mich hier korrigieren, nur einige werden
bestimmt von solchen Fiktionen. Wo nichts vorhanden, leisten sie durch lexikalisch
hochgestelzte,verschachtelte Kommentare voluminösen Beistand. Dies erzeugt beim
Leser hohe Glaubwürdigkeit, denn ihre Wortschöpfungen wirken schon geradezu
genial. So werden sie dann
letztlich zum Hauptakteur einer fabulösen Kunstszene und fühlen sich dadurch bestätigt.
Dietmar Elger, Biograf des erfolgreichsten Deutschen Malers der Gegenwart "Gerhard
Richter " zitiert den Maler mit folgenden Worten : " Die ganze Kunstszene ist ein
riesiges Theater der Armseligkeit, der Lüge, des Betruges, der Verkommenheit,
Elend, Dummheit, Unsinn, Frechheit. Es lohnt kein Wort darüber. "

Ich appelliere an alle Künstlerpersönlichkeiten, den Sud in den Töpfen der
Alchemistenküche der Kunst, der schon seit etwa 40 Jahren auf den Öfen köchelt,
dem immer noch Halbvergorenes beigemischt wird, beiseite zu schieben und eine
neue Weltsicht in die Kunst einfließen zu lassen.


RICHHOFF Lebach, 2004
(Richard Hoffmann)